Vom 13. bis 15. November 2025 fanden die Zukunftsdialoge Globales Lernen statt – eine hybride Tagung, die Pädagog*innen, Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen aus ganz Österreich zusammenbrachte. Unter dem Schwerpunktthema „Gendergerechtigkeit durch (welche?) Bildung“ wurde an der PH Wien, PH Steiermark und online ein Raum geschaffen, um Wissen zu erweitern, Solidarität zu erleben und persönliches Engagement zu stärken. Die Tagung zeigte: Bildung ist kein neutraler Prozess, sondern ein zentraler Hebel für gesellschaftliche Veränderung.
Künstlerische Akte des Widerstands
Die Tagung eröffnete mit einem Dialog über feministische Utopien, notwendigen Widerstand und den Glauben an gesellschaftliche Veränderung. Im Mittelpunkt standen filmische Arbeiten, die von Diskriminierung, Empowerment und Selbstermächtigung erzählten – und zeigten, wie künstlerisches Schaffen zu einem Akt des Widerstands wird.
Besonders eindrucksvoll:
- Marie Luise Lehner sprach über ihren preisgekrönten Langspielfilm „Wenn du Angst hast, nimmst du dein Herz in den Mund und lächelst“ (u. a. Teddy Jury Award und CICAE Art Cinema Award, Berlinale 2025). Der Film thematisiert Klassismus, mehrfache Diskriminierung und Scham, zeigt aber auch die Kraft junger Menschen, eigene Wege der Solidarität und Selbstermächtigung zu finden.
- Martina Trepczyk führte mit ihrem Kurzfilm „Tigereyes“ in die Geschichte von Hamna Hussain, der ersten muslimischen Taucherin auf den Malediven. In einem Land, in dem Frauen kaum schwimmen dürfen, wird Hamnas Weg zu einem Symbol für Emanzipation und Mut.
Gendergerechtigkeit als Gradmesser der Demokratie
Den ersten Präsenztag an der PH Steiermark eröffnete Vizerektorin Regine Weitlaner, gefolgt von einer Keynote von Nikita Dhawan (Professorin für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Politische Theorie und Ideengeschichte an der TU Dresden). Diese setzte sich mit Backlash-Phänomenen und intersektionaler Geschlechterpolitik auseinander. Sie machte deutlich:
Gendergerechtigkeit ist ein Seismograf demokratischer Werte. Wo Minderheiten als Bedrohung dargestellt werden, schwindet demokratische Substanz.
Ihr Appell galt der weiblichen Solidarität über Grenzen vielfältiger Ungleichheit hinweg, zwischen Mensch und Natur, und letztlich dem Optimismus, dass es keine Alternative zu Widerstand und Engagement gibt – auch angesichts überwältigender Krisen und Bedrohungen.
Die anschließende Paneldiskussionen Gendergerecht in die digitale Zukunft mit Veronika Dremel (Verein für Geschlechterfragen Steiermark), Brigitte Temel (Institut für Konfliktforschung)und Monika Gigerl (PH Steiermark) wurden die technologische Entwicklung und Digitalisierung aus gendergerechter Perspektive diskutiert und dabei der Blick auch auf Demokratie und Bildung gerichtet.
Pädagogische Praxis: Mut, Ambiguität und Solidarität
Am dritten Tag zeigte Judith Götz (Literatur- und Politikwissenschaftlerin, Rechtsextremismusexpertin), wie die Denkimpulse der Tagung in pädagogische Praxis übersetzt werden können. Ihr Fazit:
- Geschlechterreflektierte Bildung braucht Ambiguitätstoleranz – den Umgang mit Widersprüchen.
- Diskriminierung muss klar benannt, Vielfalt selbstverständlich mitgedacht werden – ohne Schubladen zu schaffen.
- Mut und Solidarität sind entscheidend, um in einem zunehmend herausfordernden Umfeld handlungsfähig zu bleiben.
Zwei Workshops vertieften diese Ansätze für verschiedene Bildungsbereiche:
- „Superheldin trifft Feenforscher“ (Susanne Kink-Hampersberger und Aleksandra Wierzbicka, PH Steiermark): Geschlechterreflexive Zugänge in der Elementar- und Primarpädagogik.
- „Diversity. Equality. Unity.“ (Adjanie Kamucote und Eva Eli Taxacher, The Cake Escape): Awareness-Workshop für diskriminierungskritisches Denken.
Politische Bildung für Solidarität und Zusammenhalt
Gendergerechtigkeit ist kein Randthema. Sie ist ein fundamentales Menschenrecht und zugleich ein zentraler Baustein für Frieden, Demokratie und nachhaltige Entwicklung. Doch weltweit gerät sie zunehmend unter Druck:
- Antifeministischen Diskurse und rechtspopulistische Bewegungen gewinnen an Einfluss
- Patriarchale Vorstellungen von Geschlechterrollen werden neu verhandelt – oft rückwärtsgewandt.
- Besonders erschütternd ist die anhaltend hohe Zahl an Femiziden. Im vergangenen Jahr verloren laut den Vereinten Nationen rund 85.000 Frauen und Mädchen ihr Leben aufgrund geschlechtsspezifischer Gewalt.
Auch in Österreich zeigen sich besorgniserregende Tendenzen:
- Zivilgesellschaftliche Organisationen sehen sich zunehmend Einschränkungen ausgesetzt.
- Lehrpersonen zögern oft, sich im Unterricht gegen den Backlash zu stellen – aus Sorge vor Konflikten oder Angriffe.
Nicht umsonst standen der Aufruf zu Mut und Solidarität im Zentrum der Keynote von Nikita Dhawan. Sie unterstreicht dabei: Solidarisch sein heißt nicht, sich auf Gleichgesinnte zu beschränken. Es geht darum, sich bewusst an die Seite derer zu stellen, die außerhalb der eigenen sozialen oder kulturellen Blase stehen.
Vor diesem Hintergrund gewinnt diese Tagung – ebenso wie die Zusammenarbeit in der Strategiegruppe von Akteur*innen staatlicher und nichtstaatlicher Bildungseinrichtungen – besondere Bedeutung. Gemeinsam bekennen wir uns zu Solidarität, zum Schutz zivilgesellschaftlicher Räume und zur Förderung einer offenen, vielfältigen und dialogorientierten Gesellschaft.
Veranstalterin
Eine Tagung dieser Größe ist nur möglich durch das Engagement vieler Menschen und Institutionen. Organisiert wurde sie von der Strategiegruppe Globales Lernen – ein Zusammenschluss von NGOs und Institutionen, die sich mit Globalem Lernen und Global Citizenship Education auseinandersetzen und politisch wirksam sind.
Mitglieder der Gruppe sind: KommEnt, Südwind, Welthaus Graz, Baobab, BOJA, Bundesjugendvertretung, Österreichische UNESCO-Kommission, Ring Österreichischer Bildungswerke, Universität Wien, Universität Klagenfurt, Mittelschule Schopenhauerstraße 79, PH Wien, PH Steiermark, Bundesministerium für Bildung, FairStyria / Amt der Steiermärkischen Landesregierung, Austrian Development Agency,
Mit finanzieller Unterstützung durch die PH Wien, die PH Steiermark, das Bundesministerium für Bildung, FairStyria / Amt der Steiermärkischen Landesregierung, die Österreichischen UNESCO-Kommission, KommENT, Südwind, Projekt Dcyde, Digital Global Citizenship für Youngster, der Austrian Development Agency.
